Im September habe ich einen anonymen Brief erhalten. Die Frau, die ihn geschrieben hat, hat mich dazu aufgefordert, künftig in der Predigt nicht Stellung zu beziehen, was die schwierigen und heiklen Fragen der Politik angeht. Als Beispiel für die Politik hat sie die Haltung zum Krieg Russlands gegen die Ukraine genannt. In unserer Bethlehemgemeinde gebe es viele Gemeindeglieder, die eine andere Sichtweise und Meinung als ich haben. Und schließlich sei die Feier eines Gottesdienstes keine Sitzung im Europaparlament.
An diesem anonymen Brief ist für mich deutlich geworden, dass wir in der Kirche und in unserer Gemeinde mit Menschen verbunden sind,
- die zwar nicht Gott und die Welt, aber doch Kirche und Politik getrennt sehen,
- die – wie allerdings ich selbst auch – ein ruhiges und stilles Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit führen (1Tim 2,2) und
- die die aktuell drängenden Themen, Streit und Krieg gern ausklammern möchten aus dem Sonntagsgottesdienst oder überhaupt aus dem Gemeindeleben.
In der Jahreslosung für das Jahr 2025 rät der Apostel Paulus den Christinnen und Christen in Thessalonich: Prüfet alles und behaltet das Gute! (1Thess 5,21)Der Hintergrund dieses Ratschlags, der sich auf das Jahr 49 n. Chr. datieren lässt und also zur ältesten Korrespondenz des gesamten Neuen Testaments gehört, ist folgender: Einige in der Gemeinde haben die Gabe der prophetischen Rede. Wenn die Gemeinde zum Gottesdienst zusammenkommt, dann predigen sie und richten Gottes Wort aus. Womöglich haben auch diese Stimmen anderen in der Gemeinde nicht gefallen, vielleicht sogar dem Paulus nicht. Wie man den Glauben leben und die Kirche gestalten soll, ist damals schon strittig. Trotzdem ermutigt Paulus die Gemeinde, wenn er schreibt am Ende seines Briefes:
- „Den Geist löscht nicht aus!“ (1Thess 5,19)
- „Prophetische Rede verachtet nicht!“ (1Thess 5,20)
- „Prüfet aber alles, das Gute behaltet!“ (1Thess 5,21)
Für mich ist die Jahreslosung eine Ermutigung zum Gespräch:
- Gut ist die Rede und Predigt, die die Gemeinde aufbaut.
- Was gut und was schlecht ist, das muss man offen miteinander diskutieren!
- Sosehr der Glaube ein Gefühl oder sogar ein Wohlgefühl ist, sosehr brauchen wir auch unsere Vernunft, um ihn in dieser unvernünftigen Welt miteinander zu teilen.
Was ist Deine Meinung? Ich freue mich über namentlich verantwortete Beiträge.
Freundlich grüßt die Briefschreiberin und Sie und Euch alle mit guten Wünschen zum neuen Kirchen- und Kalenderjahr